Das Schmerzgedächtnis

12. Oktober 2020

Eine kleine Berührung und du fährst aus der Haut? Vor Jahren einen Unfall gehabt und man darf diese Stelle auf keinen Fall anfassen? Tiere die an manchen Stellen rumfahren und einen buchstäblich beißen wollen? Du kennst diese und ähnliche Erfahrungen? Dann hast du bereits Bekanntschaft mit dem Schmerzgedächtnis des Körpers gemacht.

Es ist eine Art Bewertungssystem des Körpers und ordnet damit die verschiedenen Schmerzerfahrungen ein. Eine Art Gedächtnis, was sich aber dauerhafte Schmerzabläufe/spuren merkt. Also keine kognitive Gedächtnisinhalte, sondern Schmerzreaktionen des Nervensystems. Wobei es trotzdem mit einer Art Wiederholung und einer Reizantwort arbeitet. Es vergleicht alte Erfahrungen, mit neuen Erfahrungen und bewertet den Grad der Schmerzhaftigkeit ein. Das bedeutet wiederum, dass der Körper nur mit seinen erlernten Mustern vergleichen kann. Genetisch hat jeder Organismus bzw Körper eine andere Grenze, ab dem er einen Reiz/ Berührung als Schmerz abspeichert. Aus diesem Grund kann auch nicht verpauschalisiert werden: „Das hat dem anderen Tier doch auch nicht geschadet“ „Er stellt sich doch nur an“ oder auch „das kann doch gar nicht schaden“ Leider oft gehörte Sätze! Genau hier ist auch der Knackpunkt zum Thema Tierschutz und seine „Hilfsmittel“ am Tier.

Egal ob in der Reiterei oder im Hundebereich. Jedes Tier reagiert aufgrund seiner individuellen Sensibilität anderst auf Hilfen. Leider legt der Mensch keinen großen Wert darauf, sich im Thema Schmerzerkennung beim Tier, weiterzubilden. Viele Tiere zeigen Schmerzsymptome, aber der Mensch ist leider oft zu unsensibel, es zu erkennen. Wir stumpfen leider in unserem Alltag ab und erkennen oft nicht, dass wir dem Tier schon Stress bereiten. Aus seelischem Stress entstehen dann, in einem gewissen Zeitraum auch körperliche Probleme. Viele Menschen klagen darüber, dass sie in Stresssituationen die Schultern dauerhaft anspannen. Daraus resultiert Nackenschmerz, daraus Kopfweh und in vielen Fällen kommt dann die Migräne. Unseren Tieren geht es keine Sekunde anderst. Ein Hund der oft aufgeregt ist und nicht zur Ruhe kommt, hat auf Dauer beispielsweise Probleme mit seiner Atmung. Der Stress überträgt sich auf sein Inneres. Somit verspannt sich der komplette Brustkorb, die Folgen sind Brustkorbblockaden, Atemprobleme oder auch Herz- und Lungenprobleme.Ein verspannter Bereich ist in erster Linie nicht dramatisch. Aber die Zeit in der nicht gehandelt wird. Ein verspannter Nacken beispielsweise, bedeutet in erster Linie Druckempfindlichkeit. Man wundert sich, warum das Tier auf einmal kopfscheu ist. Ab diesem Punkt gibt es zwei Möglichkeiten.

Nummer eins wäre jetzt einzugreifen und zu überlegen woran es liegt. Bestenfalls einen Therapeuten kommen zu lassen, der sich um die Problematiken kümmert. Die zweite Möglichkeit sieht leider ganz anderst aus. Das Problem wird in erster Linie ignoriert. Je weiter dieser Bereich sich jetzt verspannt, desto größer wird die Schmerzspirale. Natürlich dauert dieser Vorgang jetzt einige Wochen, in denen man sich keine weiteren Gedanken macht. Das Problem wird immer größer und deutlicher. Es kommt irgendwann ein Punkt, den wir alle kennen. Das Tier will sich an bestimmten Stellen, auf keinen Fall anfassen lassen und fährt jedesmal rum, wenn man nur in die Nähe kommt. Für diese Reaktion ist das Schmerzgedächtnis zuständig. Der Körper besitzt sogenannte Rezeptoren. Diese sind Proteine und kleinste Wahrnehmungscentren, die für verschiedenste sensible und motorische Wahrnehmungen verantwortlich sind. Druck-, Zug-, Wärme-, Kälte- und Gleichgewichtsveränderungen werden durch sie, in Sekunden an das Nervensystem weitergeleitet. Dadurch können wir blitzschnell reagieren. Genauso nimmt der Körper aber auch Schmerz wahr. Sobald die Rezeptoren bemerken, dass eine Berührung für das Gewebe schädlich ist, nimmt der Körper Schmerz wahr. Es ist jetzt vereinfacht ausgedrück, aber ich denke so versteht man es besser. Und hier setzt das Schmerzgedächtnis ein. Sobald der Körper Schmerzen wahrnimmt, wird dieser Art von Schmerz sofort verglichen und eingestuft. Kennen wir den Schmerz bereits und er hat keinen großen Schaden verursacht, ist unsere Reaktion relativ gelassen. Die Rezeptoren merken relativ schnell, dass alles wieder im Normbereich ist und beruhigen sich.

Ein kleines Beispiel: Haut man sich an der Türkante die Schulter an, ist es schmerzhaft, man beruhigt sich aber schnell wieder. Gehen wir von einem Autounfall aus und ein Bein wurde eingequetscht, läuft jetzt eine ganze Kausalkette an Reaktionen ab. Der Körper gerät unter Dauerstress, da es in erster Linie eine gefährliche Situation ist. Die Rezeptoren feuern jetzt dauerhafte Impulse an das Nervensystem und melden, dass sich etwas ändern muss. Der Körper reagiert jetzt mit vermehrter Adrenalinausschüttung, um Energie zu mobilisieren und auch die Rezeptoren zu beruhigen. Keiner kann sich von einem Problem wegbewegen oder wegrennen, wenn er ständig Schmerz fühlt. (fight-or-flight-Modus) Nur hat dieses System einen Haken. Sobald der Adrenalinspiegel wieder sinkt und der Körper zur Ruhe kommt, kommen auch die Schmerzen. Wie oben schon erwähnt, dass hier kann man weitaus komplexer beschreiben. =) Mir ist es wichtig, dass du den Unterschied verstehst. Ab solchen Punkten enstehen übrigens körperliche Traumen. Ab dem Punkt, wo der Körper sich selbst nicht mehr schnell genug helfen kann, oder etwas nicht verarbeiten kann, werden negativ Erfahrungen gespeichert, die die Tiere und uns nachhaltig beeinflussen.

Wie allerdings entstehen jetzt chronische Probleme? Also Schmerzen die dauerhaft vorhanden sind? Nunja wenn ein Problem im Körper vorliegt, was er selbst nicht mehr reparieren oder eindämmen kann, werden die Rezeptoren in diesem Gebiet dem Körper immer melden, dass dort etwas nicht stimmt. Quasi eine Dauermeldung an das zentrale Nervensystem. Diese Meldung brennt sich ca. nach 3 Monaten ein. Der Körper versucht dann Maßnahmen zu treffen, die ihm Linderung verschaffen. Bestes Beispiel ist Kissing Spines beim Pferd. Der Körper wird an den berührenden Stellen so oft gereizt, dass er versucht an dieser Stelle einen Schutz darüber zu bilden. Und irgendwann wenn sich die Stellen dauerhaft berühren, verwachsen sie. Natürlich dauert dieser Vorgang einige Zeit. Die Grundidee des Körpers ist aber, immer erstmal schmerzfrei zu werden und solche Reaktionen einzudämmen.

Zusammenfassend ist es also wichtig zu verstehen, dass der Körper Schmerzerfahrungen abspeichert und diese in einem Art Gedächtniss aufbewahrt. Es wird bis zu einem gewissen Punkt verarbeitet. Ab dem Punkt wo der Körper es nicht mehr aufarbeiten kann, wird es fest gespeichert. Der absolute Klassiker ist Kopfscheue (bei Kopfschmerzen oder nach Ohrenbehandlungen) oder die Füße nicht geben wollen. Ich bin an vielen Tieren, nicht die erste Therapeutin und bekomme erzählt, wie die Tiere sich irgendwann nicht mehr an bestimmten Stellen berühren lassen wollen. Entweder wurden sie zu grob behandelt, was entweder durch die Fehleinschätzung der Kollegen passieren kann. Oder es mussten Verbände gewechselt werden. Oft ist ein Verbandswechsel nach Operationen schmerzhaft, da das Gewebe sehr empfindlich ist. Das Tier speichert sich ab: Mensch berührt Fuß und es schmerzt. Mehr können sich die meisten Tiere nicht merken. 

Das Prinzip ist denke ich jetzt klar. Nach einiger Zeit ist die Wunde verheilt, aber das Tier nach wievor an der Stelle sensibel. Jetzt müsste man das Tier wieder daran gewöhnen, dass die Berührung gar nicht mehr schmerzt. Dennoch sagt das Schmerzgedächtnis, es tut weh! Es ist nicht bei allen Tieren gleich intensiv ausgebildet. Dennoch gibt es viele Schmerzreaktionen, die als Verhaltensauffälligkeit missverstanden werden: Kopf schlagen, zucken, Launigkeit, Ablehnung gegenüber mancher Personen, beißen, weglaufen, Zähne knirschen, „koppen“ ähnliches Kopfschlagen, seltsames fiepen, Rittigskeitsprobleme, Probleme in der Bewegung und andere Verhaltensmuster. Das Gedächtniss, kann in vielerlei Hinsichten beeinflusst und geholfen werden. Medikamente, sanfte Massagen, myofasziale Techniken, Narbenentstörung, Akupunktur, Akupressur, sanfte Triggerpunktbehandlungen, Horizontaltherapie oder andere elektrische Behandlungen. Bei sehr stark ausgeprägten Fällen, sollte man auch eine Verhaltenstherapie mit entsprechend ausgebildeten Kollegen in Erwägung ziehen.

Ich hoffe ich konnte euch weiterhelfen, eure Tiere besser zu verstehen. Bei Fragen meldet euch gerne oder kommentiert unter den Beitrag. Der Artikel darf gerne geteilt werden. Ich wünsche euch noch eine schöne Zeit. Liebe Grüße Magda